„Mörder sind Produkte ihrer Zeit und dies sind blutrünstige Zeiten“, sagte der amerikanische Serienmörder Richard Ramirez in einem Interview. Ist tatsächlich die Gesellschaft Schuld? Das fragt der Film I, Olga Hepnarova, der auf einem wahren Fall beruht.
In vielen Szenen ist man versucht, Olga Hepnarova (Michalina Olszanska) mit dem Rotstift zu umkringeln. Sie ist fehl am Platz, sowohl in ihrer Familie als auch im männerdominierten Beruf. Sie ist Lastwagen-Fahrerin. Ein junge Frau mit Mia-Wallace-Frisur und der Mimik eines Vincent Vega, die sich von seiner Umwelt durch eine immerwährende Wolke aus Zigarettenrauch abzuschirmen scheint. Nur in ihrer Homosexualität scheint sie sich ausleben zu können. Doch Olga verliert sich zwischen der verzweifelten Suche nach Nähe und Selbstisolation und rutscht immer tiefer in die Depression. Schon einmal hat sie versucht, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Aber nun spürt sie eine immense Wut. Olga will nicht leise und allein gehen, sie will Rache an der Gesellschaft, von der sie sich zum „Prügelknaben“ degradiert fühlt. In einem Brief schreibt sie: „Es wäre zu einfach diese Welt als eine unbekannte Selbstmörderin zu verlassen. Die Gesellschaft ist zu gleichgültig, gut so. Hier ist mein Urteil: Ich, Olga Hepnarova, das Opfer eurer Bestialität, verurteile euch zum Tode.“
Am 10. Juli 1973 drückt die junge Frau auf das Gaspedal, rast über den Bürgersteig und tötet acht Menschen.
Wenn jemand mordet, folgt sofort die Frage nach dem „Warum“. Eine Erklärung beruhigt. Die Polizei sucht nach Briefen und Tagebüchern von Amokläufern und versucht jeden Schritt ihres Seelenlebens nachzuvollziehen. Der Film bemüht sich nicht um eine Rekonstruktion, er deutet lediglich an. Die Prügel im Mädchenwaschraum. Die Mutter, eine Ärztin, die gegen die Verzweiflung ihrer Tochter bloß Rezepte auszustellen weiß. Der Film zeigt, dass nicht die Summe der einzelnen Begebenheiten entscheidend ist, sondern das subjektive Gefühl, das schließlich zur Tat führt. Mehrmals bittet die depressive Olga um eine schnelle Überweisung in eine psychiatrische Klinik und wird abgewiesen. Auch heute warten Betroffene oft monatelang auf einen Therapieplatz. Die Verantwortung der Gesellschaft ist es, Menschen Hilfe zu bieten und die Augen offen zu halten für die, die sie brauchen könnten. „Wenn ihr nicht Menschen heranzüchtet wie mich, dann werden sie nicht so denken wie ich und sie werden nicht tun, was ich tat.“
Also bringt es zu Ende. Olga fordert für sich die Todesstrafe. Jegliche Bemühungen ihres Anwalts lehnt sie ab. Sie sei vollkommen schuldfähig und spüre keine Reue. Das Gericht stimmt schließlich zu. Nach einem Jahr Gefängnis ist Olga gebrochen. Aus der entschlossenen jungen Frau ist ein psychotisches Wesen geworden. Ihr fehlt der Bezug zur Realität und zur eigenen Tat. Trotzdem hält das Gericht an seinem Urteil fest. Olga tobt als sie zum Galgen geschleppt wird.
Die tschechischen Regisseure Tomas Weinreb und Petr Kazda erzählen in klaren schwarz-weiß Bildern die Geschichte der letzten Frau, die in der Tschechoslowakei hingerichtet wurde. Der Film nimmt sich Zeit, die Person Olga Hepnarova zu skizzieren ohne dass, diese jemals nahbar wird. Er zeigt lesbischen Sex jenseits von männerzentrierter Porno-Ästhetik und filmt schonungslos weiter, wo andere Filmemacher sanft abblenden. Am Ende ist Olga Hepnarova nicht die heroische Rächerin der Außenseiter, sondern Opfer ihres eigenen Plans. Was bleibt ist, das Unbehagen über die Frage, ob unsere Gesellschaft bereits die nächste Olga heranzüchtet.