Radiobeitrag: Geschichte mit bittersüßer Glasur (The Happiness of the World)

Dieser Beitrag porträtiert den Filmemacher Michał Rosa und seinen neuen Film The Happiness of the World (Szczęście świata). Das tragisch-komische Drama überzeugt mit seinen sympathisch-skurrilen Charakteren. Wir haben das Publikum befragt und den Regisseuren zum Interview getroffen.

Dieser Radiobeitrag ist im Rahmen des filmPOLSKA-Medienworkshops entstanden. Die Moderation wurde von Heike Brunner und Karl-Leontin Beger übernommen.

Ein unbequemer Blick auf die Verwurzelung – Office For Monument Construction

Karolina Bregula, die junge Video- und Aktionskünstlerin, stellt ihren zweiten Spielfilm vor. Gedreht in Glasgow, als Synonym für irgendeine Stadt, die dem demografischen Wandel der Menschen und Gebäude unterliegt.

Der Film wird im K18 gezeigt, einem kleinen gemütlichen Off-Kino in Friedrichshain, mit Sofaeinrichtung und einem Eingang durchs Fenster.

Auch dieser Film ist sehr gut besucht, die neuen Formen des Kinos finden Begeisterung im Berliner Publikum. Dort ist die Regisseurin mit ihrem künstlerischen Hintergrund zu Hause.

In surealem Metaphern Film zeichnet sie, eine Welt mit obdachlosen Menschen, die versuchen ihren Platz zu finden.

Eine ältere Dame, die leidenschaftlich menschliche Zähne sammelt, ein dicker Herr, der ein Ticket für den Bus zu einem Ort kaufen möchte, den es nicht gibt, sind zwei der eigenwilligen Charaktere, die aufeinander treffen. Dialoge, die in ihrer Entrücktheit mal Bezug aufeinander nehmen, mal nicht. Es ist ein Spiel aus Wirklichkeit und Traumwelt.

Auf der Tonspur sind laute Regengeräusche in verschiedenen Klangbildern zu vernehmen, die zunehmend intensiver werden und so auch den Zuschauer nerven können, was explizit beabsichtigt ist. Das Unbequeme, das die Figuren in ihren merkwürdig neu konstruierten und sinnhaft umfunktionierten Räumen erleben, soll auch der Zuschauer körperlich spüren.

Der Film zieht sich. Trotz eines fehlenden Spannungsbogens fesseln die Protagonisten, die allesamt Laienschauspieler sind. Sie agieren in teils grotesk-komischen Situationen, die Kamera atmet mit ihnen, die Perspektiven sind oft statisch. Die Räume oder Plätze wirken wie Theaterbühnen, auf denen in mehreren Akten die Neukreationen und Einrichtungsprozesse der Menschen beobachtbar sind.

Die Bilder sind farblich exzellent durchkomponiert. Zuweilen verschwinden die Darsteller fast in ihrer Umgebung.

Karolina Bregula, die 2015 den Filmtrailer von filmpolska Festival erstellte, bietet neuartige Perspektiven auf menschliche Bedürfnisse: die Konstruktion eigener Monumente, in von Veränderung geprägten Zeiten

Kunst-t-raum im Plattenbauflair

In seinem Film The Last Family porträtiert Jan P. Matuszynski die Familiengeschichte des berühmten polnisches Malers und Grafikdesigners Beksinski. Dieser wurde durch seine sadomasochistischen Bondage-Motive in Öl international berühmt. Die Geschichte der Familie ist vielen Menschen in Osteuropa bekannt. Nicht nur, dass sich der Sohn, ein Kult-Radiomoderator und DJ, das Leben nahm, auch das des Vaters endet durch eine Gewalttat.

Der junge Regisseur Matuszynski (geb. 1984) ist nach einigen Dokumentarfilmarbeiten für sein Spielfilm Debüt Ostania Rrodzina international ausgezeichnet worden.

Hier erwartet uns nun ein Film, der mit sehr viel dokumentarischem Material die Familien-Geschichte erzählt. Für die Verfilmung erhielt der Regisseur Zugang zu dem reichhaltig vorhandenem Filmmaterial, denn Beksinski war nicht nur Maler sondern auch Fotograf und Videokünstler. Als Zuschauer begleitet man die Familie von 1977 bis 2005.

Die Szenen spielen im häuslichen Umfeld der Plattenbausiedlung und in erster Linie in den kleinen Räumen. Fahrstühle bewegen sich grundsätzlich nach oben, Regen- und Schnee unterstreichen das trostlose Bild. Die Wohnung ist wunderbar der Zeit nachgestellt.

Matuszynski bedient sich zudem der Kammeraführung von Beksinski. Diese verfolgt schonungslos jede emotionale Regung der Familie, so extrem, dass es in seiner Konsequenz Komik entwickelt. Bei einer seiner Videopatrouillen kontrolliert Beksinski, ob eine seiner Großmütter noch atmet. Als Zuschauer stellt man auch fest: sie ist tot.

Die Dichte des Filmes erzielt  er durch die schnellen Bewegungen innerhalb der Wohnräume und es entsteht dabei das Gefühl, fast schon zur Seite treten zu müssen, wenn wieder durch den Flur gerannt wird. Die Nähe zu den Menschen wird durchgehend gehalten.

 

Die Szenen einer Familie

Von den Versuchen mit therapeutischen Maßnahmen Psychosen beizukommen, Sommerausflügen, Begräbnissen, bis zum Weihnachtsfest. Diese, mit regelmäßigen Seitenhieben auf die katholische Kirche gespickt, sorgen für den speziellen Humor, der sicher die Probleme in manch polnischer Familie widerspiegelt. Die Hausfrau, die funktioniert, gläubig ist, die Geliebten des Sohnes, mit denen er, auf der Suche nach sexuellem Glück, leider empfindliche Störungen überwinden muss, die Großmütter, die die Bedrohung der Gestapo in verwirrten zuständen wieder erleben, der Vater, der zwischen all dem sein Atelier und eine Spinnenphobie hat.

Wir wachsen mit dieser Familie, mit dem Erfolg des Vaters und des Sohnes und einer Mutter die zunehmend mehr Tabletten nimmt.

Mit viel Situationskomik ist hier ein Stück Zeitgeschichte porträtiert, die Ära der Jahrtausendwende im Plattenbau miterlebbar gemacht.

Die Werke Beksinski werden in Ihrer Düsternis passend szenisch eingearbeitet. Das blutrote Eingangsbild im kleinen Flur, welches als erstes seiner Werke im Film zu sehen ist, wird den Bogen am Ende schließen.

Trotzt aller Schicksalsschläge ein warmer Film über eine extrem besondere und doch so menschlich schlichte, nahe Familie.

von Heike Brunner