Tomasz Wasilewskis Film „United States of Love“ zeigt das Leben von vier Frauen zu Beginn der 1990er Jahre. Die drei Episoden des Films steigern sich in Drastik und Schwere der Probleme, mit denen die Frauen einer polnischen Kleinstadt zu kämpfen haben. Sie leben in einer patriarchischen Welt, die nur entfernt von den Versprechen des gesellschaftlichen Wandels erzählt.
Mit der Schauspielerin Julia Kijowska haben wir über die Unterschiede zwischen Polen und Deutschland, die Umbrüche der Neunziger und das Leid der Frau als Metapher eines ganzen Landes gesprochen.
Das filmPOLSKA-Festival ist eine besondere Art, das polnische Kino zu feiern. Was sind Ihre Berührungspunkte mit der deutschen Kultur?
Ich denke, dass wir sehr eng verbunden sind. Gerade Berlin ist für mich persönlich ein ganz besonderer Ort. Beim Screening von „United States of Love“ gestern habe ich erst wieder erkannt, wie ähnlich wir eigentlich sind. Viele Dinge in unserer gemeinsamen Geschichte erinnern wir auf ähnliche Weise, aber mit kleinen Unterschieden. Ich spreche da natürlich von unserer Generation, die nach diesem ganzen Mist aufgewachsen ist. (lacht) Es gab aber dann doch einige Details, die vom Publikum anders wahrgenommen wurden, was mich ein wenig überrascht hat.
Was waren das für Details?
Ganz simple Dinge wie bestimmte kirchliche Rituale, an die ich mich sehr genau erinnere und die ein polnisches Publikum sofort erkennt. Diese Rituale haben die deutschen Zuschauer doch sehr überrascht. Ich sehe aber, dass meine Generation – gerade jene GroßstädterInnen aus Warschau, wie ich es selbst bin – den Deutschen in unserem Alter sehr ähnlich sind. In vielerlei Hinsicht macht Warschau gerade eine gute Entwicklung durch, ähnlich wie Berlin vor 15 Jahren.
Sie sprachen gerade die kleinen Unterschiede an, die man in Polen schnell erkennt. Was ist denn, Ihrer Meinung nach, an United States of Love besonders polnisch?
Einerseits ist es ein sehr universeller Film. Das habe ich im Wettbewerb der Berlinale feststellen dürfen, wo viele Zuschauer den Film sehr genau verstanden haben. Die Beziehungen, das Glück und die Kämpfe der Figuren im Film gehören einfach zum menschlichen Dasein.
Andererseits geht es viel um das Polen einer bestimmten Zeit. Der Kommunismus ist gerade zusammengebrochen und es gibt völlig neue Möglichkeiten. Der Käfig ist offen, aber niemand hat den Mut wirklich auszubrechen. Die vier Frauen im Film wollen etwas bewirken, wollen aus dem Käfig ausbrechen, aber es ist sehr schwer für sie.
Sie waren zu dieser Zeit noch in der Grundschule. Konnten Sie für ihre Rolle trotzdem auf eigene Erinnerungen aus dieser Zeit zurückgreifen? Oder haben Sie Erfahrungen Ihrer Eltern verarbeitet?
Ich habe mit dem Regisseur Tomasz Wasilewski viel über unsere Erinnerungen gesprochen. Wir haben haufenweise Filme und Fotos aus dieser Zeit angeschaut. In gewisser Weise haben wir die Geschichte unserer Eltern aus Kindersicht verfilmt. Allerdings war es auch eigenartig, einen historischen Film über eine Zeit zu drehen, an die ich mich mit all ihren Details erinnere.
Es herrschten einfach andere soziale Beziehungen vor. All diese Menschen außerhalb der Familie, Nachbarn zum Beispiel, wurden trotzdem als Familienmitglieder behandelt. Häufig kam jemand vorbei, wenn ein Löffel Butter oder ein Glas Zucker gefehlt hat. Alle Menschen waren auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden.
Heute ist das komplett anders. Vermutlich ist es einfacher Brüder im Geiste zu sein, wenn man gegen die gleichen Dinge kämpft. In der heutigen Gesellschaft existiert man zunächst einmal als Individuum.
Wieso haben Sie sich auf diese vier Geschichten von Frauen zu genau dieser Zeit konzentriert? Herrschen dieselben Probleme nicht auch heute noch vor?
Die Probleme bestehen immer noch, aber die vier Frauen würden heute ganz anders damit umgehen. Zum Beispiel steckt die Figur der Agata, die ich spiele, in einer furchtbaren Ehe fest. Beide Partner können sich einfach nicht zu einer Scheidung durchringen. Tomasz Wasilewski hat sich dabei von einem Fall in seinem Bekanntenkreis inspirieren lassen. Er hat erst mit 14 Jahren das erste Mal eine Frau kennengelernt, die von ihrem Mann geschieden lebte. Ist das nicht unglaublich? (lacht) Es gab einfach keine andere Möglichkeit, eine Scheidung war absolut inakzeptabel.
Auch die Geschichte von Dorota Kolak, deren Figur sich in die Nachbarin verliebt hat, spielt eine wichtige Rolle. Heute haben sich solche Tabus ein wenig verschoben. Natürlich ist es nach wie vor schwierig für lesbische Liebe, aber eben lange nicht so wie zu dieser Zeit. Der starke Wille nach Veränderung sowie die Abwesenheit von Liebe und Freiheit sind gleich geblieben. Trotzdem hat Tomasz tolle Beispiele für die Strenge dieser Zeit gefunden.
Welche Besonderheit an Agata hat Sie so beeindruckt, dass Sie diese Rolle spielen wollten?
Mich haben vor allem jene Details beeindruckt, die unter der Oberfläche liegen. Klar, eine Frau, die sich in einen Priester verliebt ist zunächst einmal…(schnipst mit den Fingern)… attraktiv als Schauspielerin. Aber ich wollte gleichzeitig eine Erklärung für die fehlende Spiritualität in ihrem Leben finden. Agata verliebt sich vor allem in die Idee, dass es etwas Wichtigeres im Leben gibt, einen Grund für die eigene Existenz.
Mein Ziel war es, mit dieser Figur einen Ausdruck dafür zu finden, dass sie lange Zeit niemand wirklich berührt hat. Sie ist da vergleichbar mit einem wilden Tier. Ihr Körper ist nicht mehr weiblich und sie hat vergessen, was es bedeutet, attraktiv zu sein. Ihr Begehren danach nimmt aber immer mehr Raum ein. Das lässt sich durchaus direkt auf Polen münzen, auf eine ganze Landschaft. Wenn man sich diese Landschaft anschaut, möchte man nur noch weinen, denn sie ist so hässlich. Niemand weiß mehr, wie es dazu kommen konnte. Wie konnte man solche beschissenen grauen Klötze überall hinstellen? (lacht) Es ist die gleiche Suche nach Bedeutung wie bei Agata, nur auf einer anderen Ebene.
Arbeitet Agata deshalb in einer Videothek und lässt sich diese metaphorische Leere Polens durch Filme füllen?
Genau! Im Skript steht etwa, dass sie verrückt ist nach der Serie Die Dornenvögel, einer Liebesgeschichte zwischen einem Priester und einem jungen Mädchen. Agata ist eine Eskapistin, die in Filmen nach Alternativen zu ihrem jetzigen Leben sucht. Sie denkt: So könnte also dein Leben sein, aber es ist nicht so. Ihr bleibt nur, auf dem Balkon zu stehen und rauchend die weite Landschaft anzustarren.
Deshalb auch die Zeit: 1990, endlich tut sich etwas und alles ist möglich! Der Käfig ist offen. Okay, aber was soll ich damit anfangen, fragt sich Agata. Wie soll ich mich verhalten? Hat sich überhaupt etwas verändert? Nicht viel. (lacht) Der Film ist eben auch die Geschichte eines Transformationsprozesses einer „Dornröschen-Generation“. Es hat sich einiges im Leben der Frauen verändert, aber sie hatten nicht genügend Zeit, diese Veränderungen überhaupt wahrzunehmen.
Das Interview führte Hannes Wesselkämper (übersetzt aus dem Englischen).